Rede am 8. Mai 2011 am Panzer im Museum Karlshorst
18. Mai 2011
Zu unserer alljährlichen Ehrung waren wieder sehr viele Bürger der Umgebung erschienen. Vielseitige Gespräche kamen zustande. Die Ansprache von Erika schloß: Nutzen wir also auch solche Gedenktage, um der Toten unter dem Pflaster unserer Städte zu gedenken.
In wenigen Wochen erinnern wir uns des 70. Jahrestages des Überfalls auf die UdSSR – des Beginns des Vernichtungskrieges und entsetzlicher Leiden der betroffenen Menschen. Aber es war auch der Beginn des Endes dieses schändlichen deutschen Regimes, wenngleich in der Anfangsphase dieses Krieges das kaum zu erkennen war. Jedoch der Vernichtungskrieg schlug zurück auf seine Verursacher, ungeachtet der Höhe ihrer Schuld. Was blieb zurück: Städte als Trümmerwüsten, Millionen Tote auch unter der Zivilbevölkerung, ein auch moralisch tief beschädigtes Land. Insgesamt zählte man etwa 60 Millionen Tote, in der Sowjetunion allein 27 Millionen, davon 17 Millionen aus der Zivilbevölkerung. Polen hatte 4,5 Millionen Tote zu beklagen, Jugoslawien über 2 Millionen. In Deutschland fielen 8 Millionen Soldaten und etwa 1,5 Millionen aus der Zivilbevölkerung kamen ums Leben. Überhaupt zeichnete sich schon damals die Tendenz auch gegen-wärtiger Kriege ab, dass die Opfer unter der Zivilbevölkerung höher als unter den Soldaten waren. Die heute dafür vornehme Umschreibung lautet: Kollateralschäden. Es ist und bleibt die historische Wahrheit, dass der Kampf der sowjetischen Armee und der seit 1943 und 1944 immer stärker werdenden Partisanen- und Widerstandsbewegungen dem deut-schen Faschismus den Todesstoß versetzte. Damit soll selbstverständlich der Einsatz der Alliierten nicht gemindert werden. Auch die Versuche der deutschen Führung, einen Keil in die Antihitlerkoalition zu treiben und sich so für die Zukunft als antikommunistische Speerspitze anzudienen, schlugen fehl. Es hätte dafür damals keine Basis gegeben. Dies umso mehr, als die Verbrechen in den besetzten Gebieten nach ihrer Befreiung öffentlich bekannt wurden. Am 16. April 1945 begann um 4 Uhr früh an der Oder die Berliner Operation der sowjetischen Armee. Der Oberbefehlshaber der 1. Belorussischen Front, Marschall Shukow, schrieb darüber in seinen Memoiren: „In diesem Augenblick leuchtete die ganze Gegend im Mündungsfeuer tausender Geschütze und Granatwerfer und von Geschoßbahnen unserer Katjuschas auf. Dann setzte das Dröhnen der Abschüsse und der Detonationen unserer Geschosse, Granaten und Fliegerbomben ein. In der Luft steigerte sich der Motorenlärm vieler hundert Bomber. 143 Scheinwerfer flammten auf, die je 200 m voneinander entfernt standen. Die Truppen der 1. Staffel verließen ihre Stellung und begannen vorzugehen.“ Das Ende ist bekannt. Der sinnlose Widerstand der deutschen Truppen forderte in den letzten Kriegswochen noch viele Menschenleben auf beiden Seiten, zahlreiche zerstörte Kleinstädte und Dörfer säumten den Weg nach Berlin. Doch die verschiedenen Verteidigungsstellungen und -linien der deutschen Truppen konnten den Vormarsch nicht aufhalten. Am 31. April erreichten Voraus-truppenteile der 1. Belorussischen Front den nordöstlichen Stadtrand Berlins. Am 25. April war die Stadt durch die Truppen der 1. Belorussischen und der 1. Ukrainischen Front eingeschlossen. Marschall Konew, Oberbefehlshaber der 1. Ukrainischen Front sagte dazu: „Vor uns lag eine verteidigungsbereite, belagerte Großstadt. Von einer vernünftigen Regierung hätte man nach Lage der Dinge eine Kapitulation erwarten dürfen, denn nur durch sie wäre erhalten geblieben, was bis zu diesem Zeitpunkt von Berlin übrig geblieben war, und das Leben der Einwohner wäre gerettet worden. Doch jetzt warteten wir wohl vergebens auf einen vernünftigen Entschluss, wir mussten uns auf Kämpf einstellen.“ Doch bis zur Kapitulation dauerte es noch 13 Tage. Der Friedhof in Halbe mit seinen 20.000 Gräbern zeigt eines der Ergebnisse dieser Politik. Der Zustand Berlins nach Kriegsende zeugt eben-falls davon. 48% aller Gebäude waren zerstört, weitere 16,7% schwer beschädigt. 140 der 225 Brücken waren gesprengt. Ein Viertel des U-Bahnnetzes stand unter Wasser, die S-Bahn war an vielen Stellen gestört. Aus diesem immer noch qualmenden Trümmerhaufen, der einmal Berlin war, krochen die verstörten, hungernden und verzweifelten Überlebenden. Der Weg zu einem normalen Leben war für sie noch sehr weit. Wenn wir das heute blühende und von den Touristen gepriesene Berlin betrachten, sollte diese Vergangenheit nicht verdrängt werden und nicht die Opfer, die diese Gegenwart erst ermöglicht haben. Und das umso mehr, da wir z. Zt. eine erschreckende Legitimation von Kriegseinsätzen als Mittel der Politik erleben müssen. Nutzen wir also auch solche Gedenktage, um der Toten unter dem Pflaster unserer Städte zu gedenken.
20110519_1_rede_zum_8._mai_2011_in_karlshorst.de.pdf (53 KB / 1 S.)